Donnerstag, März 08, 2007

GDI-Trendradar 1.07 – Konsum- und Wirtschaftstrends 2007+

Hassen Männer das Einkaufen wirklich? Wer profitiert von der Nischenökonomie? Welche Shopping-Locations werden 2025 top sein? Diese Fragen beantwortet der «Trendradar 1.07» des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI). Zudem widmet sich der internationale Think-Tank in seinem jüngsten Outlook den Bewertungssystemen, dem «Über-Geschäft» und der Kleidung von morgen. Und er gibt den Verlierern der jüngsten Internet-Revolution einen Tipp.

Die aktuellsten Entwicklungen auf dem GDI _Radar:

  • Marktpotenzial: Von der Masse zur Nische
  • Kundenvertrauen: Von der Transaktion zur Empfehlung
  • Männer: Von Einkaufmuffeln zu Powershoppern
  • Firmen: Vom Business zum «Über-Geschäft»
  • Mode: Von Omas Strick zum virtuellen Hemd
  • Shopping-«Hot Spots»: Von der Mall zum Airport
  • Werbung: Von der Breite in die Tiefe

Marktpotenzial: Von der Masse zur Nische

Der klassische Angebots- und Nachfrage-Markt mit seinen limitierten Beständen ist ein Auslaufmodell. Nischenmärkte sind die Massenmärkte von morgen. Online funktionieren sie bereits, wie «Wired»-Chefredaktor Chris Anderson in seinem Bestseller «The Long Tail» zeigt: Ehemalige Nischenprodukte finden auf dem Internet rasend Absatz. Alternative Distributionsformen, die keinen bedeutenden Marktanteil besitzen, sind hier erfolgreich. Ebenso Randangebote und -bereiche von Grossverteilern. Kunden erhalten freie Auswahl und müssen sich nicht an der Masse orientieren. Der «Rattenschwanz» der Online-Angebote wächst ins Unendliche.

Der Trend zum Kleinen funktioniert aber auch offline: Die «80/20-Regel», wonach 20 Prozent der Produkte 80 Prozent von Umsatz und des Ertrag generieren, wird zur Ausnahme, das Bedienen der Nischen hingegen rentabel. Das grosse Geschäft wird vielfach nicht mehr mit wenigen Bestsellern, sondern mit etlichen Spartenprodukten gemacht. Diese Nischenökonomie hat in nahezu jeder Branche Chancen. Denn wer Nischenprodukte kauft, kann sich von der Masse unterscheiden und gleichzeitig als Teil einer besonderen Gruppe fühlen – als «master of the youniverse».

Kundenvertrauen: Von der Transaktion zur Empfehlung

Das Vertrauen der Kunden in Hersteller, Händler und Expertenwissen nimmt stetig ab, während ihr Vertrauen in Meinungswissen aus dem Internet steigt. Die «höhere Intelligenz» der vernetzten Konsumenten wird zur wichtigsten Orientierungsinstanz, kollektive Empfehlungs- und Bewertungssysteme jedem noch so brillanten Experten vorgezogen.

Um ihre Kunden zu überzeugen, müssen Internet-Unternehmen im Web 2.0 eine Transaktionsgeschichte vorweisen – sei es in Form von Referenzlisten, sei es mittels eines Reputationssystems, bei dem die Käufer den Verkäufer bewerten. Denn der User glaubt, denen ähnlich zu sein, die am selben Produkt interessiert sind. So vertraut er den Tipps von ihm ansonsten völlig unbekannten Menschen. Dank der Empfehlungssysteme gelangen Kunden innert Sekunden zu Produkten, die dem von ihnen gewählten ähnlich sind. – Die Macht verschiebt sich zu den Usern.

Männer: Von Einkaufmuffeln zu Powershoppern

Hinter der Mehrzahl aller Einkäufe stehen Frauen. Sagt man. Einkaufsmuffel sind vorwiegend männlich. Sagt man. Der Mann habe schlichtweg keinen Spass am Geldausgeben. Sagt man. Doch jenseits der Klischees verweisen die jüngsten Trends auf eine ganz andere Entwicklung:

So gaben Amerikaner an Thanksgiving, einem wichtigen Indikator für die US-Konsumentenstimmung, letztes Jahr vierzig Prozent mehr aus als die Frauen; Männer shoppen zwar seltener, aber teurer. Auch investieren die Herren der Schöpfung heute zehn Prozent mehr in Kleider, als noch vor zwei Jahren. Und die Zuwachsrate dieser Ausgaben ist höher als bei den Frauen – die Jungen entdecken das gepflegte Aussehen. Zudem reden Doppelverdiener und «Neue Väter» heute zunehmend im Haushalt mit – was Hersteller trendiger Kinderwagen bereits gemerkt haben. Und selbst die Einkaufssucht ist einer Studie der Universität Stanford zufolge fast gleichmässig auf die Geschlechter verteilt.

Sicher: Männlein und Weiblein ticken selbst als KonsumentInnen anders. Doch auch bei den Männern entstehen immer mehr und zunehmend ausdifferenzierte Käufergruppen. Wer ihre Wünsche und Gewohnheiten untersucht, wird neue Märkte erkennen.

Firmen: Vom Business zum «Über-Geschäft»

Drei Achsen werden die Entwicklung der nächsten Jahre bestimmen: nachhaltiges Wachstum, Differenzierung und Innovation. Firmen müssen wachsen, sie müssen sich aber wegen der zunehmenden Konkurrenz aus Europa, Asien und Indien auch abheben. Der Ferne Osten wird bald nicht nur billigpreisige Produkte herstellen, sondern rasch in die Hochpreissegmente mit höheren Margen aufsteigen.

Bedingung für Wandel und Wohlstand Europas ist eine stärkere Innovationskultur – die Formel «schneller, billiger, grösser, standardisierter» hat ausgedient. In Abwandlung des Diktums von Milton Friedman: «The business of business is more than just business» – das Geschäft der Zukunft wird mehr sein als nur Geschäft. Verlässliche Partnerschaften, ein immer wieder hart erarbeiteter Vorsprung an Kreativität, Mut zum gesunden Risiko – auch gegen den Mainstream –, Bereitschaft zu sozialer Innovation sowie der Schaffung von Werten, deren Erhaltung sich lohnt, werden unabdingbar und massgeblich den Geschäftserfolg beeinflussen – «Das Über-Geschäft».

Mode: Von Omas Strick zum virtuellen Hemd

Die MP3-Jacke gibt es schon. Den Turnschuh mit Schrittzähler auch. Ebenso die Bluse mit Anti-Alterungs-Enzymen oder ein Hemd, das dank eingearbeiteter Kleinst-Computer Körperfunktionen überwacht.

High-Tech-Kleidung ist kein Privileg mehr von 007, Mode, Accessoires und Technik verschmelzen auch auf dem Massenmarkt. Textilhüllen aus der Spraydose schützen uns, Kleider werden zu Bildschirmen und können Gefühle und Persönlichkeit der Träger darstellen. «Blogjects» wie zum Beispiel der iPod-Sneaker von Apple und Nike sammeln Informationen über ihre Umgebung und geben sie über Internet weiter.

Doch auch Vertrieb und Marketing werden zunehmend digital. Mit Videoclix können Film-Zuschauer die Kleidung ihrer Stars direkt bestellen. Kunden gestalten ihre Wunsch-Produkte online, bereits bietet der T-Shirt-Hersteller American Apparel virtuelle Bekleidung für die virtuellen BewohnerInnen der virtuellen Internet-Gegenwelt «Second Life» an – Preis: ein Dollar das Stück.

Die Gegentrends? Die Detailhändler Tesco und Tchibo nehmen exklusivere Bekleidung ins Sortiment auf; Louis Vuitton hat mit Celux Läden geschaffen, die Mitgliedern vorbehalten sind; und mormor.nu (dänisch «Oma jetzt») bietet handgefertigte Strickwaren an. Die jüngste Mitarbeiterin zählt 68 Lenze.

Shopping-«Hot Spots»: Von der Mall zum Airport

Der zukünftige «Hot Spot» des Handels ist – der Bahnhof. Nicht mehr das Shopping-Center und die «grüne Wiese» werden 2025 erfolgreiche Locations des Handels sein, sondern hoch frequentierte, gut erreichbare Lagen, die Komfort und Erlebnis kombinieren. So erwartet die Experten einer GDI-Umfrage beim Sonderfall Bahnhof das grösste Wachstum.

Die Ansprüche an die Präsentation und Inszenierung von Waren steigen, Branchengrenzen lösen sich auf. Erfolg hat die Verbindung von Einkauf und Unterhaltung mit Möglichkeiten zum vielfältigen Shopping – und genau dies bieten Bahnhöfe.

Desgleichen Flughäfen, wobei diesseits der Passkontrolle mit einem stärkeren Wachstum gerechnet wird als in der Passagierzone. Als besonders viel versprechend gelten Kopenhagen und London Heathrow T4.

Überhaupt gelten Städte als viel versprechend, besonders häufig genannte werden Dubai, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait. Aber auch Birmingham, Las Vegas und Grossstädte wie New York, Moskau oder Shanghai gelten als hip.

Hip im übrigen auch die Formate von morgen: Popup- und Guerilla-Stores sowie (Premium) Factory-Outlets werden als zukunftsträchtig eingeschätzt. Weit weniger fancy: Internationale Handelsketten gelten als die absoluten Gewinner.

Werbung: Von der Breite in die Tiefe

Ob’s beliebt oder nicht: Die Internet-Revolution ist in ihrer nächsten Phase, und die Verlierer des Web 2.0 sind die Gewinner von gestern. Allen voran: Die klassischen Medien und die dazugehörigen Werbestrategien, die sich auf die Reichweite ausrichten. Schon heute verbringen die Konsumenten viel mehr Zeit in andern als den klassischen Medien.

Unter den neuen Bedingungen alles durchdringender Partizipation und Vernetzung dreht sich Werbung nicht mehr um Konsumtrends, sondern um Kommunikationstrends im Aufmerksamkeitsmarkt. Käufer tauschen sich öffentlich über Produkte aus, Fans gestalten Werbespots, kurz: Kunden werden zu Markenbotschaftern. Erfolgreich werbende Unternehmen kommunizieren mit ihren Konsumenten «auf Augenhöhe», über Kanäle wie Podcast oder Blogs, über YouTube, MySpace, Friendster oder Xanga. Und erhalten so gezieltere, bessere Beachtung.

Damit schwindet die Bedeutung von Hits, grossen Volumen und Umsätzen, während Nischen, ja Nischen von Nischen, wichtiger werden. Es geht nicht mehr um die Breite, sondern um die Tiefe. Wer den Durchschnittskunden avisiert, liegt maximal daneben.

Was ist zu tun? Eine Möglichkeit: Gesprächsanlässe bieten, mitreden lassen, zuhören lernen und antworten. Im besten Fall werden die Kunden so zu einem Produktvorteil.

Quelle: GDI

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