Montag, November 27, 2006

Exkurs - Marketing in Russland (Verkaufen)

Exkurs – Marketing in Russland (Verkaufen)

Wie vielleicht schon bekannt, verbringe ich derzeit einige Monate in St. Petersburg. Marketing in Russland ist ein harter Job, da das Denken der Leute noch sehr mit den alten Sowjet-Strukturen, Werten und Ablaeufen verhaftet ist. Dies trifft allerdings weniger auf die Kunden als vielmehr auf die Dienstleister und Verkaeufer zu. Dies ist auf den ersten Blick verwunderlich (und schockiert quasi immer wieder aufs Neue wenn man damit konfrontiert wird), da das traditionelle westliche Bild eines Verkaeufers die Eigenschaften Kompetenz und Freundlichkeit als Schluessel zum erfolgreichen Verkaufen sieht (Stichwort Verkaufspsychologie). Ueber beides scheint der durchschnittliche russische Verkaeufer nicht zu verfuegen. Darueber hinaus fehlt ihm ebenfalls jeglicher Geschaeftssinn.

Als Beispiel dafuer moechte ich auf einen Besuch im Petersburger „Jimi Hendrix Blues Club“ am Samstagabend eingehen. Die Getraenkebestellung verlief zunaechst recht reibungslos (auch wenn es nicht genuegend Karten gab und wir ca. 10 Minuten warten mussten bis wenigstens zwei Stueck an anderen Tischen frei wurden...). Als die Getraenke schliesslich gebracht wurden, fehlte zunaechst ein bestelltes Schweppes, was uns noch nicht verwunderte, da das Tablett sehr voll war. Jedoch wurde es auch innerhalb der folgenden zehn Minuten nicht gebracht. Also versuchten wir aufwendig die Kellnerin erneut an unseren Tisch zu winken. Als sie schliesslich kam und wir fragten, meinte sie nur zu uns, es geben kein Schweppes mehr und verschwand wieder. Also begannen wir wieder zu winken, um ein Alternativ-Getraenk zu bestellen. Wir versuchten es mit Tonic, aber der war auch nicht mehr verfuegbar, genausowenig wie Fanta – also nahmen wir Sprite.

Bemerkenswert war das nicht vorhandene Entgegenkommen in Form von (eventuell tatsaechlich bestellbaren) Getraenke-Optionen und der toedliche Blick, mit dem sie uns fuer unsere Aufsaessigkeit strafte. Etwas spaeter wagten wir einen erneuten Versuch, diesmal um zum Abschluss einen Tee zu bestellen (wie es in Russland eben ueblich ist). Aus der Erfahrung gelernt, erkundigten wir uns zunaechst ob denn alle Tees von der Karte erhaeltlich waeren, was die gute Frau zun unserer Freude direkt bejahte. Das stellte sich jedoch als arglistige Taeuschung heraus, musste sie doch (ohne grosses bedauern) den Wunsch nach schwarzem Tee aufgrund mangelnder Verfuegbarkeit ablehnen. Wie es sich schliesslich herausstellte war gar nur noch eine Sorte erhaeltlich...

Ich muss unterstreichen, dass dies kein Einzelfall ist. Aehnliche Erfahrungen haben wir bereits des oefteren gemacht. Dabei beschraenkt sich dieser Verkaufsstil nicht nur auf Bars und Restaurants, sondern ebenfalls auf saemtliche Lebensmittel- und Bekleidungslaeden. So ist es eine der ersten Lektionen, die der Fremde lernen muss, dass man immer genuegend Kleingeld dabei haben sollte, da sich Verkaeufer haeufig weigern selbst 100-Rubel-Scheine (entspricht nichtmal drei Euro!) anzunehmen. Neulich wurde selbst eine Bezahlung mit 50Rubel (1.5 Euro) abgelehnt...

Es ist schwer begreiflich worauf diese latente Feindschaft dem Kunden gegenueber zurueckzufuehren ist. Haeufig wird die schlechte Bezahlung als Ursache genannt (man muss wissen der Durchschnittslohn liegt selbst in St. Petersburg bei knapp 300 Euro im Monat). Dies wird jedoch dadurch entkraeftet, dass auslaendische Arbeitskraefte bei anzunehmender gleicher oder gar schlechterer Bezahlung ein ungleich hoeheres Mass an Hoeflichkeit und Freundlichkeit aufweisen. So wird man in indischen Restaurants schon am Eingang quasi in die Familie aufgenommen. Es muss also einen mehr russischen Hintergrund haben. Diverse Publikationen beschaeftigen sich mit russischer Psychologie und russischem Verhalten (empfohlen sei z.B. der „Kulturschock Russland“). Dabei wird oft das „Machtgefuehl“ als Ursprung des schlechten Service genannt. In der russischen Gesellschaft wird Status zumeist mit Macht ueber Andere gleich gesetzt (das Status-Denken ist hier generell staerker ausgepraegt). Macht hat wer ueber Informationen verfuegt, Macht hat wer andere degradieren kann. In diesem Licht nutzt der Verkaeufer also seine „Macht“ ueber den Kunden, um seinen Status herauszustellen. Dies ist besonders interessant, da der Beruf des Verkaeufers in der Sowjet-Zeit als besonders schlecht angesehen war (noetiges Ueberbleibsel des Kapitalismus). Auch muss man sagen, dass in diesem Punkt der Begriff „Wettbewerb“ noch nicht in den Koepfen angekommen ist. Begegnet man dem Auftreten der Verkaeufer mit einem „Dann kaufe ich eben nicht!“ oder „Dann gehe ich eben in den Laden gegenueber!“, fuehrt dies nicht gar zu einer Verbesserung der Situation. In der Regel quittiert der Verkaufer das nur mit einem Schulterzucken und einem monotonen „Ich nehme ihren Schein nicht“.

Es bleibt die Frage wie man diesem Phaenomen als Sales oder Marketing Director begegnet. Dass man reagieren sollte steht ausser Frage, da eine Verbesserung des Service grosses Potenzial in sich birgt. Weil auch Russen diesen schlechten Service gern vermeiden wuerden und nicht als gottgegeben ansehen, koennte man mit einem kundenorientierten Verkauf stark gegenueber der Konkurenz punkten. Als „Unique Selling Proposition“ ist guter Service in Russland also auf alle Faelle geeignet (wenn auch sicherlich nicht fuer immer).

Als geeignet erscheinen mir eine Kombination aus durchdachter Personalplanung und Schulungsprogrammen. Da man mit letzterem sicherlich nur begrenzt Psyche und Einstellung beeinflussen kann, sollte man bereits bei der Auswahl der Mitarbeiter ein Auge darauf haben, inwiefern die beschriebenen Phaenomene fest verankert sind (z.B. durch gezielte Fragen, das Durchspielen einer Testsituation, Probezeit). Bei Verkaufsschulungen sollte man dann Schwerpunkte in den Bereichen Motivation und Kundenbeziehung setzen. Zu guter Letzt ist es vernuenftig zusaetzlich ein Bonusprogramm zu haben bzw. einen Teil des Gehaltes leistungsbezogen zu gestalten. Das ist in Russland noch nicht wirklich etabliert und wird in der Regel nur von Firmen mit Auslandsbezug praktiziert, da flexible Bezahlung von Arbeitnehmer haeufig mit „Missbrauch/Ausbeutung“ assoziiert wird. Wenn man das System jedoch geschickt kommuniziert, kann das nachhaltig zum Firmenerfolg beitragen, da „unproduktive“ Mitarbeiter abgeschreckt werden und „produktive“ Mitarbeiter zusaetzliche Motivation erhalten. Vielleicht liesse sich damit selbst unsere Lieblingskellnerin aus dem Blues Club bewegen uns beim naechsten Besuch ein bisschen entgegenkommender zu behandeln...

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